Familie Penner

Krummfuß 10


 

„Meine Erfahrungen in den Straßen von Unna haben in mir eine Aggressivität und Kampflust hinterlassen, die es mir in den ersten Jahren nach meiner Ankunft in den USA sehr schwer machten, normale Jugendfreundschaften zu haben. Die Paranoia, die aus meinem Leben in Unna resultierte, wurde durch die Unfähigkeit Englisch zu sprechen verschärft. Ich vertraute niemanden und war bereit gegen jeden zu kämpfen.“1 

Mit diesen Worten beschrieb Bernhard Penner 1989 seine ersten Jahre in den USA, nachdem er 1938 als Elfjähriger ohne seine Eltern vor der NS-Verfolgung aus Unna fliehen musste. Seine Eltern, Chaim und Regina Penner, blieben in Unna.

Chaim Penner wurde am 23. Juli 1892 in Rymanów in der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie geboren.2 Wie in vielen Städten Galiziens bildeten die Juden in Rymanów eine große Bevölkerungsgruppe. Im Zuge des Ersten Weltkrieges wurde die Stadt 1914 von russischen Truppen eingenommen und stark zerstört. Am 12. Februar 1915 zog Chaim Penner von Prag kommend nach Unna in die Massener Straße 13. Er lebte dort bei der Familie seiner Schwester Hilda Saal.3 Im Juli 1915 verließ Chaim Unna und war in Berlin und Dortmund-Hörde ansässig. Im Juli 1916 kehrte er nach Unna zurück und wohnte wieder bei seiner Schwester Hilda. Am 8. Juni 1918 zog er gemeinsam mit der Familie Saal in das Haus Wasserstraße 13. Im Nebenhaus in der Wasserstraße 11 betrieb er ein Rohproduktengeschäft.

Chaims Frau Regina (Riwka) zog am 22. Dezember 1918 ebenfalls zur Familie Saal. Sie hatte zuvor mit ihren Eltern Meier und Lea Saal geb. Frühmann und ihrem Bruder Isidor in Wiesbaden gelebt. Der Ehemann von Chaims Schwester Hilda, Abraham Saal, war ein weiterer Bruder Reginas. Wie Chaim stammte auch Regina aus Galizien, wo sie am 6. Juni 1892 in Kołaczyce (heute Südostpolen) zu Welt gekommen war. Regina kam mit ihrer Familie 1898 nach Wiesbaden. Sowohl die Familie Penner wie die Familie Saal gehörte zur Gruppe der „Ostjuden“. Seit Beginn der 1880er Jahre zwangen antijüdische Pogrome und zunehmende Verarmung zehntausende jüdische Familien ihre Heimat in Osteuropa zu verlassen. Als die Kämpfe des Ersten Weltkrieges besonders in den jüdischen Siedlungsgebieten im historischen Polen, zu jener Zeit Staatsgebiet Russlands, Österreich-Ungarns und Deutschlands, wüteten, kam es zu einer erneuten Fluchtwelle in das Deutsche Reich. Der Großteil der jüdischen Siedlungsgebiete fiel nach dem ersten Weltkrieg an den wieder entstandenen polnischen Staat. Chaim und Regina Penner und ihre Kinder wurden daher zu polnischen Staatsbürgern.

Am 19. Januar 1920 reiste Regina zu ihrer Familie nach Wiesbaden, wo sie am 9. Februar 1920 ihre Tochter Hanne (Hannah, Hannchen) zur Welt brachte.4 Sie lebte dort in der Hellmundstraße 39 inmitten des osteuropäisch-jüdischen Viertels im Westend. Nach einem Monat kehrten Regina und Hannah von Wiesbaden nach Unna zurück. Am 18. Februar 1921 gründete die junge Familie einen eigenen Hausstand und wohnte im Haus Krummfuß 18, spätestens seit Juli 1921 am Krummfuß 10. Zur gleichen Zeit tauschte Chaim mit dem Ehepaar Strathoff die Geschäftsräume und betrieb seinen Laden nun ebenfalls am Krummfuß 10. Wie seiner Geschäftsanzeige zu entnehmen ist, hielt sich Chaim streng an die Schabbatruhe und hielt sein Geschäft am Samstag geschlossen, was unter den aus Osteuropa eingewanderten orthodoxen jüdischen Familien üblich war. Als Erich Jacobs im Mai 1933 seine Stelle als Prediger der Synagogengemeinde Unnas antrat, gehörte die Familie Penner, neben den Familien Birnbach und Saal, zu den Familien, die sich bereiterklärten, ihn mit koscheren Speisen zu versorgen.

 

Am 5. Juli 1921 wurde der älteste Sohn Salomon (Sally) Penner - wie alle weiteren Kinder der Familie - am Krummfuß 10 in Unna geboren. Die standesamtliche Trauung von Chaim und Regina wurde am 1. November 1921 in Unna vollzogen. Vermutlich hatte sich das Paar wie es in orthodoxen Familien durchaus vorkam, zunächst nach dem traditionellen jüdischen Ritus trauen lassen und erst später standesamtlich geheiratet. Da die Brautleute ausländische Staatsbürger waren, ging der standesamtlichen Trauung ein aufwändiges bürokratisches Verfahren voraus.5 Am 13. September 1925 brachte Regina ihren Sohn Samuel zur Welt, der bereits nach zwei Monaten am 23. November 1925 starb. Ein Jahr später, am 29. November 1926, wurde der Sohn Bernhard geboren. Herbert, das jüngste Kind der Familie, erblickte am 10. Juli 1930 das Licht der Welt.

Hannah Penner besuchte nach der Volksschule ab 1930 das städtische Oberlyzeum in Unna (heute Katharinenschule). 1988 erinnerte sie sich an diese Zeit in einem Brief:

"Vor 1933 fühlten wir uns wie alle anderen deutschen Schüler: Wir sangen "Deutschland über alles" mit derselben Vaterlandsliebe, gingen ins Gymnasium und Lyzeum und hatten deutsche Freunde und Freundinnen. 1933, mit Beginn der Hitlerjahre, änderte sich alles, zuerst langsam und dann schneller und schneller. Plötzlich waren wir nicht mehr deutsch, alle Gefühle wurden durch Angst ersetzt, Angst und Furcht war das Motto. […] In 1936 war ich die einzige Jüdin auf dem städtischen Oberlyzeum. Ein Dr. Maiwig lehrte Rassenkunde und schilderte die Juden als eine minderwertige Rasse - geistig und körperlich. Er war ein so guter Lehrer, daß er nicht nur die ganze Klasse, sondern auch mich davon überzeugte. […] Ich war dem ausgeprägten Haß der anderen Schülerinnen ausgesetzt, keiner sprach mit mir. Da war ein Doktor Muth in Unna, er hatte 3 Söhne, Hans und Otto, gab es ein besonderes Vergnügen, ihr beliebtes Lied zu singen: ‘Wenn's Judenblut am Messer spritzt, dann geht's uns wieder gut’, wann immer sie mich oder meine Brüder sahen. Oh, wie ich sie fürchtete! Sie waren auch in der Gruppe, die unsere Fenster mit Teer beschmierten mit der Begleitung des oben erwähnten Liedes. Das Dröhnen, der Hass, wir sassen drinnen, hilflos, zitternd vor Angst.“6

Obwohl Hannah eine gute, sprachbegabte Schülerin war und nach dem Abitur Fremdsprachen studieren wollte, verließ sie aufgrund der antisemitischen Übergriffe 1936 das Oberlyzeum. Daraufhin besuchte sie bis 1938 eine von Frau Lerch in Dortmund betriebene, private Schneiderfachschule.

Der Sohn Bernhard erinnert sich 1989 an seine frühe Kindheit am Krummfuß 10:

„Unsere Beziehungen zu unseren unmittelbaren erwachsenen Nachbarn erschien immer sehr herzlich und freundlich. Von meiner frühen Kindheit an erinnere ich mich an ein stets präsentes und zunehmendes Gefühl von Fremdheit und Isolation auf Grund unseres jüdischen Glaubens. Mein Bruder und ich waren stets sehr körperlich aktive Kinder, sodass wir einen großen Teil unserer Freizeit Fußball und anderen Spielen mit unseren Nachbarkindern widmeten. Bald führte die Feindseligkeit oder gar Hass unserer ehemaligen Spielgefährten gegen uns zu immer mehr Konflikten und letztlich zu unserem Ausschluss aus ihren Reihen. 1937 war mein letzter Freund in der Gegend, Siegfried Rentmeister, der nebenan wohnte, der Hitlerjugend beigetreten und wollte in keiner Weise weiterhin mit einem Juden befreundet sein.“7

Wie sein älterer Bruder besuchte auch Bernhard Penner die Herderschule. Er wurde dort Ostern 1933, also kurz nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, eingeschult. Über seine Schulzeit in Unna schrieb er:

„Ich erinnere mich an Lehrer Jonas, ein gemeiner, dicker, kleiner Mann, der besonders stolz darauf war, ein Mitglied der „Herrenrasse“ zu sein. Er präsentierte das Parteiabzeichen mit dem verhassten Hakenkreuz auf seinem Revers. Jonas fand Vergnügen daran mich, den einzigen Juden in der Klasse, mit dem gewaltigen Rohrstock zu demütigen und zu bestrafen. […] An einem späten Nachmittag, als ich die Wasserstraße entlang ging, sah ich ihn mir entgegenkommen. Ich konnte ihm nicht ausweichen. Er grüßte mich mit einem ‘Heil Hitler, Penner’. Als ich versäumte es ihm nachzutun, schlug er mich sofort fest auf meine Wange. Bis heute kann ich noch das Brennen meines Gesichtes und das Klingeln in meinem Ohr fühlen. Sicherlich war Jonas die Art von Mensch, die in den späteren Jahren den Kader in den Vernichtungslagern stellte.“8 

Hermann Jonas war von 1913 bis 1943 Lehrer in Unna, zunächst an der evangelischen Volksschule Unna (Heilig-Geist-Schule), ab 1929 an der neu errichteten Herderschule.9 Wie seine älteren Geschwister verließ auch Bernhard im Februar 1938 die Schule, um nicht weiter den antisemitischen Übergriffen ausgesetzt zu sein.

Dennoch entsann sich Bernhard Penner Menschen in Unna, die ihm auch nach 1933 freundlich begegneten:

„Ich erinnere mich auch an Lehrer Fehling, mein Lehrer in der zweiten Klasse, der, trotz seiner Menschlichkeit und Freundlichkeit gegenüber mir und vier oder fünf anderen jüdischen Schülern, wie durch ein Wunder der Schulrektor wurde. […] Es gab zwei ältere, christliche, unverheiratete Damen, die bei uns am Krummfuß nebenan wohnten. Sie begegneten mir immer mit Freundlichkeit oder gar Liebe. Ihr Zuhause war ein Zufluchtsort für mich. Es gab einen älteren christlichen Mann, der seine Liebe zu Tauben mit mir teilte.“10 

Der am 10. Juli 1930 geborene Sohn von Chaim und Regine Penner, Herbert, wurde gemeinsam mit seinem besten Freund Siegfried Lindenbaum in die Herderschule eingeschult. Siegfried Lindenbaum berichtete 1992 davon, dass ihre Mitschüler ihn und Herbert deutlich spüren ließen, dass sie als Juden nicht willkommen seien. Tätliche Angriffe besonders von älteren Schülern seien an der Tagesordnung gewesen.11

Um ihre Kinder vor den antisemitischen Demütigungen und Angriffen zu schützen und ihnen eine Zukunft zu ermöglichen, die für sie in Deutschland nicht mehr existierte, entschlossen sich Chaim und Regina ihre Kinder so bald als möglich ins sichere Ausland zu schicken. Als erster verließ der älteste Sohn Salomon im Alter von 15 Jahren am 27. Oktober 1936 Unna. Durch eine jüdische Wohlfahrtsorganisation gelang ihm die Flucht in die USA, wo er bei seinem bereits 1934 aus Wiesbaden geflohenem Onkel Isidor Saal in Saratoga (Kalifornien) unterkommen konnte. Isidor Saal, ein Bruder Reginas, war als süddeutscher Boxmeister im Weltergewicht in einer Gaststätte von einem SA-Trupp angegriffen und daraufhin zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Nach dieser Erfahrung verließ er das Deutsche Reich und versuchte andere Familienmitglieder vor der NS-Verfolgung zu retten.12 Am 7. Februar 1938 verließ der damals Elfjährige Bernhard Unna, da es derselben jüdischen Wohlfahrtsorganisation gelungen war, ihn bei einer armen jüdischen Familie in Albany (New York) in den USA unterzubringen. Bernhard berichtet später in seinen Briefen, wie schwer ihm die Trennung von seinen Eltern und Geschwistern fiel. Die Familie dachte zu diesem Zeitpunkt, dass es sich nur um eine vorübergehende Trennung handeln könne.

Diese Hoffnungen zerschlugen sich am 27. Oktober 1938, als Chaim und Regina mit den beiden in Unna gebliebenen Kindern Hannah und Herbert einen Ausweisungsbefehl aus dem Deutschen Reich erhielten. In dieser als „Polenaktion“ bezeichneten Massenabschiebung wurden reichsweit bis zu 17.000 Menschen polnisch-jüdischer Herkunft aufgefordert innerhalb weniger Stunden Deutschland zu verlassen. Am folgenden Tag mussten sich die Familie Penner wie die Familien Saal, Birnbach und Lindenbaum an der Polizeiwache in Unna einfinden. Die Familien waren gezwungen abgesehen von einem Gepäckstück und zehn Mark alles in Unna zurückzulassen, ihr Besitz wurde beschlagnahmt. Sie wurden mit einem Bus zu einem Bahnhof nach Dortmund gebracht und am selben Abend mit dem Zug in den deutsch-polnischen Grenzort Neu-Bentschen transportiert. Von dort wurden sie gewaltsam über die polnische Grenze getrieben. Die polnische Regierung verweigerte Tausenden der Abgeschobenen die Weiterreise ins polnische Inland. So entstand im polnischen Grenzort Zbąszyń ein großes Flüchtlingslager, in dem katastrophale Bedingungen herrschten.

Im Juni 1939 gelang es der 19-jährigen Hannah durch eine jüdische Hilfsorganisation ein englisches Einreisevisum als Hausangestellte zu erhalten. Von Zbąszyń in Polen fuhr sie über Berlin, Hamburg, Le Havre und Southhampton nach London und arbeitete dort als Hausgehilfin. Sie blieb bis September 1940 in London und fuhr, nachdem es ihr gelungen war ein US-Visum zu erhalten, mit dem Dampfer Cynthia von Liverpool aus in die USA, wo sie im Oktober 1940 eintraf.
 

Chaim und Regina sowie ihr 8-jähriger Sohn Herbert blieben in Zbąszyń in wohnten dort in der Poznańskastraße 6. Am 16. Mai 1939 verließen sie Zbąszyń und lebten bei Verwandten in Rymanów, dem Geburtsort Chaims, unter schwierigen Verhältnissen. Der ebenfalls aus Unna stammende Neffe Reginas, Josef Saal, lebte bei ihnen. Im September 1939 wurde Rymanów von der vorrückenden Deutschen Wehrmacht besetzt, 1941 pferchten die deutschen Besatzer die jüdische Bevölkerung in ein Ghetto. Am 12. August 1941 wurden alle jüdischen Menschen der Stadt auf dem Marktplatz zusammengetrieben und selektiert. Die SS trieb hundertfünfzig bis zweihundert Kinder und alte Menschen in den nahegelegenen Wald von Barwinek und erschoss sie dort. Die arbeitsfähigen Männer wurden in das Konzentrationslager Plaszów bei Krakau gebracht. Die zurückgebliebenen fünfhundert bis achthundert Menschen mussten zu Fuß zur fünf Kilometer entfernten Bahnstation Wróblik laufen und wurden dort in Viehwaggons verladen. Zwei Tage mussten sie in diesen Waggons unter unmenschlichen Bedingungen ausharren, bevor sie in das Vernichtungslager Bełżec gebracht und diejenigen, die diese Strapazen überlebt hatten, in den Gaskammern ermordet wurden. Unter welchen Umständen Chaim, Regina und ihr kleiner Sohn Herbert starben, ist nicht geklärt. Hannah Penner erhielt die letzten Briefe ihrer Mutter 1941. Josef Saal konnte sich durch eine Flucht in die Sowjetunion retten.


 

„My youngest brother was 9 years old, when he was shipped to a concentration camp and consequently killed. My 2 other brothers and I were made orphans while still in our teens - needless to say – we can never forget and never forgive.”

                        Hannah Frenkel geb. Penner an Klaas Schulte-Bertschik, 28. Dezember 1984

 


 

Die drei in die USA geflohenen Kinder blieben in Ungewissheit über das Schicksal ihrer Eltern und ihres Bruders und mussten ihr Leben in einem fremden Land ohne entsprechende Sprachkenntnisse allein meistern.

Hannah Penner lebte in Queens und auf Long Island in New York. Sie heiratete einen aus Hamburg stammenden Mann, dessen Eltern und Schwester im Holocaust starben. Nach ihrer Heirat trug sie den Namen Hannah Frenkel. Sie hatte zwei Söhne und war Hausfrau. Über ihren weiteren Lebensweg ist uns nichts bekannt.

Salomon Penner, der sich in den USA Stanford Solomon Penner nannte, konnte auf Grund fehlender finanzieller Mittel nicht wie ursprünglich angestrebt Medizin studieren. Er arbeitete einige Jahre als Techniker in der Industrie, bevor er Chemie studieren konnte. Er promovierte im Bereich der Raketenantriebstechnik und entwickelte sich zu einem weltbekannten Wissenschaftler auf dem Gebiet des Düsenantriebs und der Thermodynamik. Er lehrte als Professor an der Universität von Kalifornien in San Diego und gilt als ein Pionier der US-amerikanischen Weltraumforschung.13 Salomon heiratete und wurde Vater. Seine Frau Beverly starb 2003, er selbst starb im Alter von 95 Jahren am 15. Juli 2016. Sein Sohn Robert und seine Tochter Lynn leben in Kalifornien. 
 

Anders als sein Bruder Salomon, der in Kalifornien in der Familie seines Onkels aufwuchs, musste Bernhard, dessen Gastfamilie in Albany ihm mit Ablehnung begegnete, sein Leben weitgehend allein meistern. Nach Abschluss der Highschool, verließ er Albany und besuchte ein College in Madison (Wisconsin). Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, arbeitete er in mehreren Anstellungen gleichzeitig. Getrieben von dem Wunsch seine Lieben in Europa zu finden und die Deutschen zu strafen, wollte er unbedingt in die US-Armee eintreten, aber als „feindlicher Ausländer“ war es nicht möglich sich freiwillig zu melden. Im Januar 1945 wurde er als 18-jähriger in die Armee eingezogen und auf den Philippinen und in Japan eingesetzt. Zwei Jahre später konnte er aufgrund der Regelungen der „GI Bill“ (Gesetz zur Wiedereingliederung der Kriegsteilnehmer der USA) ein Medizinstudium an der Universität von Wisconsin aufnehmen und arbeitete später als Chirurg in Detroit (Michigan) und Hines (Illinois). Mit seiner Frau Beverly hat Bernhard drei Kinder. Im Alter lebte er in Santa Barbara (Kalifornien). Bernhard Penner starb am 18. Juni 2017 im Alter von 90 Jahren. 

Bernhard Penner besuchte im Sommer 1985 gemeinsam mit seiner Frau Beverly Unna und traf sich mit Klaas Schulte-Bertschik, der sich für die Errichtung eines Mahnmals an die ehemalige jüdische Gemeinde einsetzte. Rückblickend auf den Besuch schrieb Bernhard:

„Es ist mehr als 50 Jahre her, seitdem ich Unna verlassen habe, und immer noch träume ich - selbst in den letzten Monaten - gelegentlich von dieser Stadt. Die Träume neigen dazu idyllisch zu sein, aber mit einem starken nostalgischen Element. Sie beziehen sich auf eine Heimat, von der ich dachte, ich hätte sie für ein paar kurze Jahre als kleines Kind gehabt. Eine Heimat, die ich niemals wirklich hatte; eine, die ich verlor und niemals zurückgewinnen werde. Das Trauma des furchtbaren Verlustes, nicht nur meiner Eltern und meines Bruders, sondern auch der Verlust meiner Heimat und die totale Ablehnung durch sie, kann niemals ausgelöscht werden. Mich wird immer ein Gefühl der Fremdheit begleiten, wohin ich auch gehe. Ich empfinde für die Vereinigten Staaten, mein Land, enorme Dankbarkeit und große Liebe, aber eine Heimat habe ich jetzt nicht und werde sie niemals haben. Sie war immer ein Produkt meiner Fantasie. Es war das Unna meiner frühkindlichen Unschuld und das Unna meiner Träume.“14

Am 04. Mai 2011 wurden zum Gedenken an das Schicksal der Familie Penner vor ihrem ehemaligen Wohnhaus am Krummfuß 10 in Unna sechs „Stolpersteine“ verlegt.

 

Sabine Krämer
 

Quellen und Literatur

Brief von Bernhard Penner an Walter Flick vom 20.08.1989, Hellweg-Museum Unna

Brief von Hannah Frenkel geb. Penner an die Klasse 6.3 der Peter-Weiss-Gesamtschule Unna vom 10.07.1988, Hellweg-Museum Unna

Bürgerrollen Chaim, Regina, Hannah, Salomon, Bernhard Penner, Stadtarchiv Unna

Beiakte des Heiratsregisters 215/1921 zu Chaim und Regina Penner, Stadtarchiv Unna

Geburtsurkunde Hanne Saal (Penner), Geburtsregister 266/1920; Stadtarchiv Wiesbaden

Karteikarte des Gestapo Wiesbaden für Chaim Penner (Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden), Arolsen Archives, abgerufen 05.10.2022 unter https://collections.arolsen-archives.org/en/document/12301588 

Kreisarchiv Unna, Wiedergutmachung 11/1324; 11/1328; 11/1392 

LAV NRW Westfalen K 104, Regierung Arnsberg, Wiedergutmachungen 169489 / 169491 / 169655 / 622075

Düsberg, Jürgen: Stolpersteine in Unna, 2007-2012. Unna 2012

Gallati, Laura; Noser, Alma: Begegnung in Rymanów, in: Taz vom 04.10.2008, Unter: https://taz.de/!820063/ 

Jacobs, Erich: „Wunder geschehen doch noch.“ Geschichte und Schicksal der jüdischen Familie Jacobs aus dem Sauerland“. Hg. Hohmann, Siegfried; Martini, Karl Heinz; Wiemer, Franz-Josef. Olsberg 2004, S. 155, 162,163

Juden in Unna: Spuren ihrer Geschichte - eine historische Dokumentation. Bearbeiter: Dieter Fölster; Walter Flick; Bernt Cnyrim. Unna 1993

Strathoff, Karl-Heinz: Erinnerungen aus Kindheit und Jugend, unveröffentlichtes Manuskript 2001 (im Besitzt der Familie Strathoff, Unna)

Timm, Willy: Unna in alten Ansichten, Bd.2. Zaltbommel 1984

Erinnerungen von Bernhard Penner unter: https://www.jewishsantabarbara.org/portraits-of-survival/survivor-stories/bernhard-penner (englischer Text)

Videoporträt von Bernhard Penner unter: https://www.youtube.com/watch?v=bYpPTuFWUB0 


 

1 Brief von Bernhard Penner an Walter Flick vom 20.08.1989. Originalsprache Englisch übersetzt von S. Krämer

2 Laut dem Beiakte des Heiratsregisters zu Chaim und Regina Penner, waren Chaims Eltern David und Süssel Penner geb. Felsenbuch. Sie lebten 1921 in Rymanów. Ein Film über die jüdische Geschichte Rymanóws „RYMANOWSKI SZTETL“ unter https://www.youtube.com/watch?v=NiyIhj9dfJ8 

3 In den überlieferten Dokumenten ist neben der Schreibweise „Saal“ auch „Sahl“ zu finden.

4 Hannahs Geburtsurkunde ist zu entnehmen, dass Regina nach dem deutschen Recht zu diesem Zeitpunkt noch ledig war und Chaim das Kind bei der standesamtlichen Trauung am 1. November 1921 in Unna als sein Kind anerkannte. Geburtsurkunde Hanne Saal, Geburtsregister 266/1920, Stadtarchiv Wiesbaden.

5 Die umfangreiche Beiakte des Heiratsregisters 215/1921 ist im Stadtarchiv Unna erhalten geblieben.

6 Brief an die Klasse 6.3 der Peter-Weiss-Gesamtschule Unna vom 10.07.1988, Hellweg-Museum Unna.

7 Brief von Bernhard Penner an Walter Flick vom 20.08.1989. Originalsprache Englisch übersetzt von S. Krämer.

8 Ebd.

9 Auskunft von Dr. Ahland, Stadtarchiv Unna.

10 Brief von Bernhard Penner an Walter Flick vom 20.08.1989. Originalsprache Englisch übersetzt von S. Krämer.

11 Autobiographische Erinnerungen von Siegfried Lindenbaum in: Juden in Unna, S. 177.

12 Brief von Bernhard Penner an Walter Flick vom 20.08.1989. Originalsprache Englisch übersetzt von S. Krämer.

13 Nachrufe auf Stanford S. Penner unter https://www.sandiegouniontribune.com/news/science/sdut-sol-penner-obit-2016jul19-story.html  und https://www.nae.edu/28755/Dr-Stanford-S-Penner 

14 Brief von Bernhard Penner an Walter Flick vom 20.08.1989. Originalsprache Englisch übersetzt von S. Krämer.