Familien Elkan und Arensberg

Südring 11a und Gerhart-Hauptmann-Straße 10

 

Die Familie Elkan betrieb in prominenter Lage am Markt 8 ein Geschäft für Oberbekleidung. 1921 war die Familie von Duisburg nach Unna gezogen, wohnte zunächst in der Wasserstr. 12 und ab 1925 am Südring 11a. Siegmund Elkan wurde am 13. April 1882 in Aachen geboren. Seine Ehefrau Helene, die am 2. Juni 1885 in Gelsenkirchen zur Welt kam, war die Schwester von Eduard und Berta Müller, die ebenfalls in Unna lebten. Siegmund und Helene heirateten am 23. Mai 1912 in Gelsenkirchen. Siegmund kämpfte als Soldat im Ersten Weltkrieg und wurde mit einem Frontkämpfer-Ehrenkreuz ausgezeichnet.1 

Die am 24. Juni 1914 in Duisburg geborene Tochter Hildegard besuchte das städtische Oberlyzeum in Unna (heute Katharinenschule) bis Ostern 1928 und machte eine Ausbildung im Kurzwarenhandel. Laut ihrer Meldekarte lebte sie zwischen 1931 und 1939 in Gmünd, Hannover, Rheydt, Lippstadt und in Bad Pyrmont. Im Februar 1939 betrieb sie von Lippstadt aus ihre Auswanderung nach England, wie einem Schreiben des Finanzamtes Lippstadt an die Staatspolizeistelle Dortmund zu entnehmen ist.2 Ihre Auswanderungsversuche blieben ohne Erfolg. 

Heiratsurkunde von Hildegard Elkan und Siegfried Arensberg vom 2.12.1940. Stadtarchiv Unna

Am 2. Dezember 1940 heiratete sie in Unna den am 20. Dezember 1905 in Dortmund-Aplerbeck geborenen Siegfried Arensberg.3 Diese Heirat war eine der letzten Hochzeiten eines jüdischen Paares in Unna für viele Jahrzehnte. Die Heiratsurkunde ist ein Zeugnis der sozialen Deklassierung und rassistischen Ausgrenzung: Der Bräutigam Siegfried Arensberg wie auch die Trauzeugen Siegmund Elkan und Fritz Weinberg, die ursprünglich als selbständige Kaufleute tätig waren, erscheinen hier nun als „Tiefbauarbeiter“ bzw. als „Ziegeleiarbeiter“, da sie aufgrund der rassistischen Boykottmaßnahmen aus ihren Berufen verdrängt worden waren. Die Braut Hildegard wird als „Hausgehilfin“ bezeichnet. Ebenso sind in der Urkunde die für Juden seit dem 17. August 1938 zwangsweise zu führenden Vornamen „Sara“ bzw. „Israel“ angegeben. Im Anhang der Urkunde ist unter „Rassische Einordnung“ der Vermerk „jüdisch“ zu finden, der, obwohl schon das Allierte Kontrollratsgesetz Nr. 1 vom 20. September 1945 die NS-Bestimmung außer Kraft gesetzt hatte, erst am 5. November 1952 ungültig gestempelt wurde.

Am 22. Januar 1941 zog das junge Paar nach Werne (Lippe), Markt 12. Der am 6. November 1941 von der Ortspolizeibehörde Werne erstellten Liste der in Werne lebenden Juden ist zu entnehmen, dass Siegfried Arensberg zu diesem Zeitpunkt bei der Firma Josef Merting KG in Dortmund arbeitete.4 Die bürokratisch organisierte Ausplünderung der „zu evakuierenden Juden“ dokumentiert die von der Stadtverwaltung Werne angefertigte Vermögenserklärung vom 27. November 1941, in der auch Siegfried und Hildegard benannt sind. Schließlich erscheinen ihre Namen auf der Deportationsliste des Transportes von Münster über Osnabrück und Bielefeld nach Riga. Der Zug verließ am Morgen des 13. Dezember 1941 den Güterbahnhof Münster und erreichte den Rangierbahnhof Skirotawa bei Riga am späten Abend des 15. Dezember. Siegfried Arensberg ist vermutlich während des Transportes umgekommen. Hildegards Name taucht auf einer Transportliste von 1944 in das KZ Stutthof bei Danzig auf, wohin viele der Häftlinge, die das Ghetto Riga und das KZ Kaiserwald überlebt hatten, beim Vormarsch der sowjetischen Armee deportiert wurden. Es ist anzunehmen, das Hildegard im KZ Stutthof ermordet wurde.

Der Sohn Erwin Elkan wurde am 30. Januar 1924 in Unna geboren. Über seinen Lebensweg ist nur wenig bekannt. Als er in das Alter kam, in dem er eine Ausbildung oder höhere Schulbildung hätte beginnen können, war dies für jüdische Jugendliche im Deutschen Reich nicht mehr möglich. Jüdische Organisationen versuchten, ihnen in überbetrieblichen Ausbildungsstätten den Erwerb handwerklicher oder landwirtschaftlicher Grundkenntnisse zu ermöglichen. Erwins Meldekarte ist zu entnehmen, dass er vom 1. Juli 1939 an die Israelitische Gartenbauschule Ahlem bei Hannover5 besuchte. Zwischenzeitlich kehrte er zu Besuchen nach Unna zurück. Seit dem 14. Oktober 1941 lebte er in Frankfurt/Main, Fischerfeldstr. 13. Dort befand sich die jüdische „Anlernwerkstatt“, die eine alternative Lehrlingsausbildung bzw. Umschulung zu handwerklichen Tätigkeiten bot. Vermutlich kam Erwin in dem angegliederten Internat unter, das für ortsfremde Jugendliche zur Verfügung stand.6 Das weitere Schicksal Erwin Elkans ist uns nicht bekannt. Ob er gemeinsam mit seinen Eltern nach Zamość deportiert wurde oder von Frankfurt aus in eines der Vernichtungslager verschleppt wurde, ist bisher ungeklärt. Er überlebte die NS-Herrschaft nicht. 

Die Eltern Siegmund und Helene Elkan zogen im Mai 1932 an die Kaiserstraße 9 (heute Friedrich-Ebert-Straße). Ihr Geschäft am Markt gaben sie nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten auf. Siegmund wurde dienstverpflichtet und in Unna gegen einen Hungerlohn als Straßenkehrer eingesetzt. In der Pogromnacht am 9. November 1938 wurden Siegmund und Helene in ihrer Wohnung an der Kaiserstraße in „Schutzhaft“ genommen. Siegmund wurde zunächst wie neun weitere jüdische Männer ins Polizeigefängnis Unna verbracht und im KZ Sachsenhausen interniert. Helene wurde gemeinsam mit anderen jüdischen Frauen im jüdischen Altersheim an der Düppelstraße (heute Mühlenstraße) festgesetzt. Am 22. Dezember 1938 wurde Siegmund aus dem Konzentrationslager entlassen und kehrte nach Unna zurück. Einen Monat später zogen die Elkans in das Haus Kaiserstr. 26, das der jüdischen Familie Eichenwald gehörte. Es ist anzunehmen, dass auf die Elkans massiver Druck ausgeübt wurde, ihre Wohnung in einem „arischen“ Haus aufzugeben, da die „Entjudung des Wohnraums“ erklärtes Ziel der NS-Regierung war. Bereits nach drei Monaten mussten die Elkans auch dieses Haus wieder verlassen, nachdem Meta Eichenwald das Haus im März 1939 unter Druck für einen Spottpreis an eine „arische“ Käuferin übertragen hatte. Am 6. April 1939 zogen sie in das „Judenhaus“ an der Königstraße 10 (heute Gerhart-Hauptmann-Straße). Mit dem „Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden“ vom 30. April 1939 wurde die Isolierung jüdischer Menschen rechtskonform und gab den örtlichen Behörden und Parteidienststellen weitreichende Möglichkeiten, Jüdinnen und Juden aus ihren bisherigen Wohnungen zu vertreiben. In den Häusern Königstraße 8 und 10 mussten neben der Familie Elkan die jüdischen Familien Weisner, Holländer und Weinberg auf engstem Raum zusammenleben.

Der Eintrag vom 28. April 1942 auf der Meldekarte von Helene und Siegmund Elkan lautet lapidar „unbekannt wohin verzogen“. An diesem Tag begann für sie, wie für siebzehn weitere Unnaer Jüdinnen und Juden, die Deportation in das Ghetto von Zamość.7 Zunächst wurden die zur Deportation bestimmten Menschen aus dem Regierungsbezirk Arnsberg auf dem Eintracht-Sportplatz in Dortmund gesammelt und bis zu ihrem Weitertransport am 30. April in der Eintracht-Turnhalle zusammengepfercht. Der Dortmunder Zug erreichte Zamość, eine Kleinstadt, knapp 100 Kilometer südwestlich von Lublin, nach 65 Stunden Fahrt am 3. Mai 1942. Das Ghetto von Zamość diente als Durchgangsstation in die Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Treblinka. In Zamość verlieren sich die Spuren von Siegmund und Helene Elkan. Von den 791 Menschen dieser Deportation überlebte niemand.

Das Mitte der 1950er Jahre von der Jewish Trust Corporation geführte Rückerstattungsverfahren ergab, dass die Möbel und der Hausrat der Familie Elkan nach ihrer Deportation versteigert wurden. Der Erlös von 1565,85 RM floss an die Stadtkasse Unna.

Für Siegmund und Helene Elkan und ihren Sohn Erwin wurden am 28. März 2010 am Südring 11a drei Stolpersteine verlegt. An ihre Tochter Hildegard und ihren Schwiegersohn Siegfried Arensberg erinnern seit dem 12. August 2010 zwei Stolpersteine an der Gerhart-Hauptmann-Straße 10. 

Sabine Krämer

 

Quellen und Literatur

Bürgerrolle der Familie Elkan, Stadtarchiv Unna

Meldekarten Siegmund, Helene, Hildegard und Erwin Elkan, Stadtarchiv Unna

LAV NRW Westfalen, Q 121 – Rückerstattungen, Nr. 7497

LAV NRW Westfalen, L 001a – OFD Münster, Devisenstelle, Nr. 1597

LAV NRW Westfalen, Kreis Lüdinghausen, Landratsamt, Nr. 1133 – 25

LAV NRW Westfalen, Kreis Lüdinghausen, Landratsamt, Nr. 1133 – 38

LAV NRW Westfalen, K 730 – Kreispolizeibehörde Unna, Politische Polizei, Nr. 43: Aktionen gegen Juden, 1938-1939

Stadtarchiv Münster, Stadtreg. Fach 36, Nr. 18f_01 1a

Heiratsurkunde Hildegard Elkan und Siegfried Arensberg vom 2.12.1940. Stadtarchiv Unna, Standesamt Unna, Heiratsregister 155/1940

Schülerinnenhauptverzeichnis des Städtischen Oberlyzeums Unna 1927-1935. Stadtarchiv Unna

Juden in Unna. Spuren ihrer Geschichte, Eine historische Dokumentation, hrsg. von der Stadt Unna, bearb. von Dieter Fölster, Unna 1993

Ralf Piorr / Peter Witte (Hrsg.): Ohne Rückkehr. Die Deportation der Juden aus dem Regierungsbezirk Arnsberg nach Zamość im April 1942, Essen 2012
https://juedisches-dortmund.de/arensberg/ (aufgerufen am 2.5.2022)


1 Siehe LAV NRW Westfalen, K 730 – Kreispolizeibehörde Unna, Politische Polizei, Nr. 43: Aktionen gegen Juden, 1938-1939.

2 Siehe LAV NRW Westfalen, L 001a – OFD Münster, Devisenstelle, Nr. 1597.

3 In Dortmund wurden Stolpersteine für die Familie Arensberg verlegt. Siegfrieds Mutter und seine vier Geschwister wurden im Holocaust ermordet. Informationen unter https://juedisches-dortmund.de/arensberg/.

4 LAV NRW Westfalen Kreis Lüdinghausen Landratsamt Nr. 1133 – 25.

5 Die Israelitische Gartenbauschule Ahlem ist heute eine Gedenkstätte. Weitere Informationen unter https://www.hannover.de/Kultur-Freizeit/Architektur-Geschichte/Erinnerungskultur/Gedenkstätte-Ahlem.

6 Informationen zur jüdischen Anlernwerkstatt unter https://www.frankfurt1933-1945.de/beitraege/institutionen-juedischen-lebens/beitrag/anlernwerkstaette-und-berufsumschichtung/.

7 Zur Deportation nach Zamość: Ralf Piorr / Peter Witte (Hrsg.): Ohne Rückkehr. Die Deportation der Juden aus dem Regierungsbezirk Arnsberg nach Zamość im April 1942, Essen 2012.